Kurtzweylige Legenda (E. Scheiffele) [D]   作成日:2013/05/11
Eines gewissen Anonymi Kurtzweylige Legenda/so nutzelich unde ergetzlich zuo lesen/ welche Mitt-Theylung in ienem Landt spilet/ von deme da gesaget ist/ da wirdt es fruher lichte danne anderen Orts inn dießem Iammer=Thale/ n i t a l l e n t h a l b e n/ iedoch zuo den mehresten Theylen auss der deutschen Hauptsprach/ alss sie da geleret das Beyspill Doctoris Martini Lutheri/ submissest umbegesatzet in die newe Schrifft=Gestaltt nach der Fuerschrifft deß wol=lobelichen Hausses Duden/ von Aeverhartus Scaevellio Suebicus seu Alamannus/ Mitt deme allergnaedigesten Sonder=Privilegio hochgelahreter Rebus Germanicis obligatae Societatis Iaponicae.


Es begab sich aber zu der Zeit, da zwei Welt-Mächte, von den Zehen bis zu den Haarspitzen bewaffnet, einander gegenüberstanden, unfähig, auch nur einen Finger zu rühren, da die eine dann befürchten musste, die andere hole zu dem allseits längst erwarteten Tiefschlag aus: in jener Zeit prickelnder Stille also geschah es, dass ein Mann (man konnte ihn noch einen Jüngling nennen) den Entschluss fasste, in das Land zu gehen, von dem er die Leute hatte sagen hören, da werde es früher licht als sonstwo auf dieser Erdenwelt.

Nicht, dass er sich nicht wohlgefühlt hätte in dem Land, das weit hinter dem Westlichen Paradiese liegt und das dessen Nachbarn nicht selten das dunkle oder gar (horribile dictu!) das finstere nannten. Beileibe nicht! Doch nachdem ihm einmal durch – man verzeihe dem schlichten Mit-Teiler diese Neuprägung – unreinen Zufall zu Ohren gekommen war, wie er geredet habe, als er noch ein klitzekleines Kindle gewesen sei, wurde er sich seines offenbar knospenhaft verschlossenen Licht-Begehrens schlagartig bewusst. Der Säugling soll zwar nicht nach der Geburt Schlängle erwürgt haben, die ihn bedrohten, wie Geschichtenerzähler unter den Hochnasen es einem ihrer Halbgötter nachsagten; denn erstens gab es da keine Schlängle, und zweitens waren seine Fingerle viel zu zart für eine mit dem Kraft-actus dieses Rabauken-Götzen vergleichbare Tat. Doch soll er – o Wunder! – so runde sowie zugespitzte Laute von sich gegeben haben, dass zumindest die Gebildeten unter den Bewunderern, die den Knirps andächtig umstanden, sich nicht hätten entbrechen können, aus ihnen den mundsprachlichen Ausdruck „Noi etta!“ und den hauptsprachlichen: „Mehr Licht! Mehr Licht!“ herauszuhören. Kurz und, wie wir vorherwissen, gar nicht so schlecht: Als er in das Alter kam, in dem man sich fragt: Bleibst du hier, oder gehst weit weg, entschied er sich für das Letztere. Er folgte seinem Begehren und entflog in das Land, wo es früher licht werde als anderswo auf der Erdenwelt.

Als er dort ankam, erfolgte sogleich die erste Überraschung. Es regnete, und zwar nicht gemütlich vor sich hin, sondern wie aus ungeheuren Himmelskannen! Auf den Gedanken, man brauche in dem Land, in dem es früher licht werde als anderswo auf dieser Erdenwelt, etwelche utensilia, um sich vor Wetterwend-Unbilden zu schützen, war er erst gar nicht gekommen. Und dunkel war es, dunkler noch als in dem Land, welches dessen Nachbarn das dunkle oder gar finstere nennen. Er wusste nicht aus noch ein, schloss aber, vorsichtshalber, zunächst einmal die Äugle. Nichts da! Aufgerissen wurden sie, ruckzuck. Warum denn?

Er hatte nämlich eine Erscheinung. Mir nichts dir nichts war Schluss mit dem Prallwasser. Und hell ward es, mit Gleißen! Auf einem silbernen, von edlem Gestein übersäeten Wagen erblickte er etwas Formloses, das, größer und größer werdend, die Gestalt der Irdischen annahm und schließlich ein Riesenhaupt mit glattem schwarzem Haar und, wie es unserem Freund vorkommen musste, mit von höchstgeistigen Labetränken geröteten Wangen. Dies und ein Mündle, das sich beim Reden und noch mehr beim Lachen zu einem immerfort bewegten Schlängle auseinanderzuziehen schien, erfüllte Eustachius mit Schrecken, doch nicht weniger mit süßem Erschauern. (Wir haben soeben seinen Namen verraten. Die guten, daheim gelassenen Freunde sagten Stachus zu ihm und verliehen in ihrer nicht unansehnlichen Ansiedelung, der man recte einen gewissen Lieb-Reiz in aestheticis zuzuschreiben, nicht umhin zu können zu scheinen pflegt, zu seinem Angedenken eine mit Springbrunn, Bänken und Tor bestückte platea diesen Kosenamen: Stachus). Der wohlwollende Leser – der missliebige bleibe uns gebührend vom Leibe! – vergebe es uns gütigst, dass wir nicht den Versuch wagen, dieses erhabene Antlitz zu entweihen, indem wir es mit unseren Schriftzeichen durch penible descriptio festmachen, wie es einer der Großdichter in jenem schmählicher Weise als „dunkel“ bezeichneten Land ohn jedweden Zweifel getan hätte, schamlos.

„Na, kümmerlicher Erdenwicht, um nicht zu sagen: lächerlicher Kleinbürger, du Herr, du! Willst du dich nicht wenigstens endlich einmal vorstellen?“ Bevor unser Freund dazu kam, sich in seinem ehrenwerten Haupte eine Erwiderung auf diese unverschamete Anrede zurechtzulegen, die weder trotzig noch unterwürfig klänge, fuhr die Erscheinung milderen Tones also fort: „Gib dir keine Mühe. Wir kennen dich. Du kommst aus dem Land der Bürsten, der Würste und der Fürsten sowohl vom hohen Tone als auch vom tiefen Grübelgeseufzere. Das weiß ich von der Hocherhabenen, der Schwester. Der bleibt nämlich nichts unbekannt. Nicht umsonst lautet ihr erhabener Beiname: >Die mit dem Öffnen ihrer erlauchten Augen die ganze Erdenwelt bis in derselbigen allerletzte Schlupfwinkel hinein Erhellende<. Ausgerechnet dich Würstl mag sie. Diese Wei..., halt, nicht doch! Wollen des Anstandes Wegen ausrufen: ach, diese immer nach Extra-Würstln lechzenden Damen! Dein Licht-Begehren kitzelte ihre erlauchte Gefallsucht. Mich hält sie ja, völlig unberechtigter Weise, für einen rüden Sauf- und Raufbold. Na ja, irgendwie ist sie mir doch nicht ganz unherzlich zugetan. Bruder ist und bleibt halt doch immer noch: Bruder. Die Herrscherin also gebot mir, dich zu dem Lande zu geleiten, welches da heißt „Gegend der Bitterlingslehre“, nach jenem nutzbaren Gewächse, das längst dahingegangene Gelehrte in einem Land jenseits des Westlichen Paradieses als blackstonia perfoliata zu bezeichnen, nicht unterlassen zu können vermeineten. Dahin also! Auf, o Freundchen!“

Und schon hockte Eustachius, von seinen daheim gebliebenen Spezis, unter denen genannt zu werden, ich selbsten keines Weges die zweifelhafte Ehre zu haben mich erkühne, einfachhin Eustach genannt, in dem Silbernen Wagen nebst dessen vorlautem Herrn Lenker. Das Gefährt rollete kurz, erhob sich steilauf und – entschwand, samt dem fliegenden Protzgespann. Doch unser Freund, wohin war er geraten? Wie Vieles wäre mitzuteilen! Doch machen wir es kurz, ohn all Getue und Gleißnerei.

Der saß nämlich urplötzlich neben einem Herrn, der wohl zwei Jahrzehnte mehr auf dem Kreuze hatte als er selbsten. Er kam Eustach seltsamlich vertrauet vor. Ja, richtig. Das war Selbiger! Ein nicht ganz unbekannter Dichtergelehrter aus dem schon oftens genannten, angeblich so dunkeln Land. In dessen Sprache gab der hier seine Worte zum besten, indem er in ein mit dunklen Schriftzeichen vollgekritzeltes Heft schaute und hin und wieder seinen Blick erhob und großmütig über die Runde der Versammeleten schweifen ließ. Wir befanden uns nämlich in einem weiten, geschäftsmäßig kahlen Saal, in dessen ansteigenden sowohl Sitz- als auch Bankreihen („in weiter stets geschweiftem Bogen“, wie der Dichter es besser zu Wort brächte) man vorn hockte, in der Mitte saß und in der obersten Reihe thronte, geordnet offenbar nach Alter, Verdiensten und Würde. „Ach ja“, sprach da unser Eustachius mit innerem Schmunzeln zu sich selber, „hintoben sitzen, nein: rakelen sich ohn Unterlass die Gewiefeten, die Herren Magistri vom Großen Überblick!“

Die Herren- und Damenschaften höreten unserm Dichtergelehrten offenbar gespannten Sinnes zu. In den mittleren Reihen schienen einige, die Augen halb geschlossen, in tiefes Sinnen versunken zu sein. Der Dichtergelehrete sprach – ecce! – nicht ohne wohl-kalkuliereten Schwung und sorgsam erlesenen Witz über einen seiner Zunftgenossen im in vielleichten allzu frecher Weise so genannten dunklen Land, von welchem Kumpel in litteris die Mär umgehet, der habe seine diebische Freude daran gehabet, den recipientibus seiner Schriften ein nerven-aufreibend hastiges Blättern in ansonsten überflüssigen Nachschlagewerken aufzunötigen.

Die Lesung unseres Dichtergelehrten war an ein gekonnt markantes Ende gelanget. Der Beifall war zunächst zögernd, nahm zu und gewann schließlich orkanhaftes Ausmaß. Alsdann: Stille. Nichts rührte sich. Man kam sich vor wie auf einer platea, allwo man der Dahingeschiedenen trauernd gedenket. Unser Dichtergelehrter aus dem Land, das weit hinter dem Westlichen Paradiese liegt, rückte seine Halsbinde, welche in eben diesem Land auch die „kroatische“ heißt, zurecht, wendete sich an Eustachium, als hätte der von Anbeginn neben ihm gekauert, und fragte, um ein Kleines verdutzet, wie es fast den Anschein zu haben schien: „Hab i was falsch gmacht, oder was isch denn do eigentlich los, Herr Nachber?“ Da erhub sich einer der Altweisen in der hintobersten Reihe der corona und sprach also: „Lieber verehrter Gast, wissen Sie, bei uns sprechen nur die Dummen am Anfang.“ Was Jener darauf erwiderte, charmierete die Versammelung, sogar mich selbsten, den doch zu bloßer Mit-Teilung Verpflichteten. Er sprach nämlich die geflügelten Worte: „Jetzt weiß ich, warum ich am Anfang reden sollte.“ Und alsbald wechselten Rede und Gegenrede, lebhaft, doch stets eines gewählt höflichen Tons, und zwar in der Sprache des sogenannten Dunkellandes. Wie denn das?

Eustachii Erscheinung hatte denselbigen im Land der Bitterlingslehre abgesetzet, so zwar, dass dieser sich inmitten einer Versammlung eines Wandernden Freistaats befand, des Bundes der Fröhlichen Bitterlinge. Es war aber das Ziel dieser hochgesinneten individua, ausgerechnet scripta und Reden, die in der Sprache des unverschämter Weise als „dunkel“ charakterisierten Landes abgefasst sind, zu erhellen. Dazu dieneten die Tagungen und nicht weniger, ja nicht gerade überaus selten die – wieder entschuldigt sich der unbeteiligt sein sollende Mit-Teiler für eine perversitatem verbi – Nachtungen in einer Groß-Herberge, nämlich dem weitläufigen Gebäu, welches die Freistaatler liebevoll als ihr „Da, wo 's“ bezeichneten, in gelehrter Anspielung auf eine Großerzählung des schon erwähnten Großen Lügenbolds aus dem Dunkelland. Doch wo was? Das mit „s“ abgekürzete allgemeine „es“ in dem Namen „Da, wo 's“ wäre gewisslich mit einer Unzahl von Geschichtle zu füllen, wie es sich genannter Großdichter aus dem Land, das weit hinter dem Westlichen Paradiese liegt, nicht hätte verkneifen können. Doch da wir kurzweilige legenda versprochen haben, begnügen wir uns mit einem Beispiel, müssen dem allerdings eine kleine Gschicht vorausschicken; denn diese Begebenheit hatte – wie jede Gschicht – eine Vor-Geschichte. Dazu also zuvörderst.

Jahre waren dahingeflossen, einfach so, ohne Eustachii Zutun, das ist: ohne sich mit besonders erwähnenswerten Taten des eben Genannten zu füllen, als eines ausnahmsweise trüben Morgens die Lichtgestalt jener erhabenen Erscheinung erneut zu ihm trat und ihn also ansprach: „Mit Unserer süßerlauchten Frau Schwester, deren Namen auszusprechen, selbst Unsereinem verwehret ist, gibt es wieder einmal, um in der Sprache von Euch komischen Figuren zu reden, Remmidemmi! Wir müssen Uns um ein Kleines in Unser dem Westlichen Meere nahes Asyl namens Sorgenfrei zurückziehen. Dabei lassen Wir uns in der erhabenen Güte Unseres Herzens dazu herab, dich mitzunehmen, jedoch nicht, wie es sich doch wohl von selbsten verstehet, bis zu Unserem Sekret-Palaste. Daselbsten lassen Wir Uns, abgesehen von unter dem Augpunkte ihrer Ansehens-Würdigkeit strengestens ausgesiebeten Gespielinnen, ganz alleine nieder, um – ha! O ja! – in erlauchter Muße jenen wie unermüdlich gereinigtes Glas klaren, ungemischten und stricte unverzückerten Trank zu schlückern, den Wir, freilich in geringerer Stärke und Gutheit, den Irdischen dereinst spendieret. Nein. Sondern Wir setzen dich wiederum bei deinen Kumpels vom Bitterlingswesen ab, auf der halben Höhe eines Unserem erlaucheten Unterschlupfe benachbareten geheiligten Berges.“

Und also geschah 's auch. Auf einer Anhöhe besagter heiliger Erhebung, die mit grünen, von prächtigen Vierbeinern in freundlicher Gemächlichkeit frequentierten Weiden prangete, tagte, nachtete und nächtigte hinwiederum eine Abordnung vom Wandernden Freistaat der Fröhlichen Bitterlingschaft. Fassen wir uns kurz. Schließlich ist es lediglich die Vor-Geschichte zu unserem angesagten Haupt-Exemplo. Also. Nach der ohn allen Zweifel tagebuchenswerten Abschlussfeier auf einer Wiese, welche sich vor der Herberge erstreckte, fand es unser Eustach, wie es dann verlautete, humorlos, sich zu erheben, um sich etwan in sein enges Schlafgelass zu begeben, und entschlummerte frohgesinnt daselbsten. Aber eheu! Allzufrüh wurde er aus seligen Träumen ans Licht der ihre Augen geöffnet habenden Großen Schwester gerissen, und zwar durch das gewisslich wohlgemeinte Gejohle und Handgeklatsche seiner Genossen von den Fenstersimsen des Gebäus her, allwo dieselbigen sich wie die Sardinen in einem metallischen Behalt aneinanderreiheten.

Doch nun ohne weitere Umschweife stracks zum Haupt- Exemplo. Eine erkleckliche Reihe von Monden danach hielt sich unser Freund wieder einmal mit seinen Genossen vom gelahrten Bitterlings-Bunde in jener weitläufigen Großherberge auf, ihrer liebevoll mit „Da, wo 's“ tituliereten. Nach mehreren Tagungen und Nachtungen kam es auch allhier zu einem nicht gerade unerwarteten und an Lachtränen keineswegs ärmlichen Abschiedsfeste, das ist: zu einem solchen, bei dem sich, wie ein Dichter einmal verlautet haben soll, die Flaschen und die Herzen wie von selber öffnen, namentlich weil (so ebenderselbige poeta doctissimus) es unter allen Liquidiäten, welche die erbarmenswerten Irdischen einnehmen, die von Eustachii Erscheinung denselbigen dereinst bescherete sei, welche einen respektive eine stracks, das ist: sine jedwede complicatione, demokratisiere.

Es hatten sich aber unter den anwesenden Bitterlings-Genossen zwei, wenn sich auch durchaus freundschaftlich einander zugetane Fest-Parteien herausgebildet. Die eine war der Bund der in dem Gebiet Westlich der Großen Zollstelle Beheimateten. Dorten lag die Alte Hauptstadt, von der es dereinst geheißen hatte, man fahre zu ihr „hinauf“. Bezeichnen wir sie der Einfachheit halber als „Gruppe Lila“ und als „Gruppe Weiß“ Jene, die zumeist aus dem Gebiet Östlich der Großen Zollstelle kamen. Dorten liegt die Neue Haupstadt, zu der man anitzo „hinauffahret“, was die Bewohner der alten Kapitale nicht ohne unser Mitgefühl nicht eben allzu wenig wurmete und noch anitzo regiopatriotischer Weise wurmet, recht so. Kurz und und, wie zu behaupten, wir es uns freiherzig zu gestatten wagen, gar nicht so schlecht: Es ward jener in die strenggeheimen Jahresscripta unseres Wandernden Freistaats als „Der Sängerkrieg auf Da, wo 's“ eingegangene Wettstreit beschlossen. Was da für zwischen den extremis „feurig“ und „anmutig“ zu classifizierende carmina erklangen, schalleten, schrilleten, ertöneten und -schollen! Doch unser guter Eustachius, was gab denn der zum – nicht eben unerwarteteter Weise – Nichtallzuschlechten?

Da er in jenen Tagen an der weithin bekannten Hohen Schule der Alten Hauptstadt den Sinn von Schriften und Geredetem aus dem nicht eben ganz zu Recht so genannten Dunkellande aufzuschließen half, hatte er die zwar ehrenvolle, doch auch müheselige Aufgabe, am Sieg der Lila-Leute mitzuwirken. Doch warum schreiben wir dieses so gar nicht ergötzlich klingende vocabulum „müheselig“ eigens nieder, mit – wenn freilich auch scheinbar nur – kühlem Herzen?

Die etwas peinliche Sache verhielt sich nämlich also. Während einmal Jemand versichert haben soll, Eustachii Sprechlaute klängen fast verführerisch romantice, musste er jedoch, als er einmal im Walde sorgenfrei für sich hin ging und ein lustiges Liedle anstimmete, eine keines Wegens etwan gering zu bemessende Ent-Täuschung erdulden. Die allerschönest-stimmigen Sängerinnen besageten Forstes „schrieen“, von den Zweigen fallend, „wie von Sinnen“, wie ein Dichter diesen die lustigen Vögle entwürdigenden Vorfall festgehalten hat, und die kreischtüchtigen Schwarzgefiederten aus den obersten Stockwerken der Gehölze unterbrachen ihre leidenschaftlichen disputationes und lauscheten einträchtiglich unseres Freundes Verlautbarung, welche an unerhöreter Neuheit selbst die ihrige um ein keines Weges Kleines sogar noch zu überbieten die Unverschametheit hatte.

Was also tun, o Eustachie? Des eben erwähnten Ereignisses eingedenk, hatte er vorgesorgt. Am Vortage beschaffete er sich in einer nahe stehenden Burg längst verblichener Geschlechter ein mit einer feinen Schicht angeblich echten Goldes überzogenes Becherle. Danach öffnete er das schmale, vom tüchtigen Personal bestens gesäuberte Fenster unmittelbar neben dem Podest, das die jeweilige männliche oder weibliche Sänger-Persönlichkeit Gesanges Wegen ersteigen sollte, jedoch lediglich um ein Weniges, damit seine intrigue nicht vorzeitig ans Licht des dann gewiss lampen-erstrahleten Saales komme.

Doch wozu denn das ganze Theater? fraget ihr zu Recht, amici. Eustachius, gewiefeter Pädagog, der er schon anno dazumalen war, hatte nämlich vor, die Aufmerksamkeit der gebannt Lauschenden von einem den Sieg der Lilaner als fraglich erscheinen lassen könnenden obiecto abzuwenden, indem er sie hinlenke zu seiner geplaneten, wegen der originalitatis des Einfalles möglicher Weise das sensatio-Gefühl der Anwesenden kitzelnden, freilich nur lug- und trughaftlich spontanen scaenae.

Ausgewählet aber hatte er das populare Carmen vom Goldenen Becher, welcher alles Salz-Wasser der Weltsee einschlucket, aus lauter Liebes-Gewüten. Und nach den Versen, die da lauten: „[...]und warf den heiligen Becher/ Hinunter in die Flut“, riss er jenes zuvor nur leicht aufgemachte Fenster an seiner Seite weit auf und warf sein erst kürzlich mit geringer pekuniärer Aufwendung erstandenes Goldbecherle hinaus. Sogleich hörete man ein leises Aufklatschen von druntaußen, wenn auch leider keines Wegens vom Meere her, sondern allein her von dem bis zum Fuße des weitläufigen Gebäus reichenden, von dem rüstigen Personal schon vor Ankunft der erlaucheten Gäste von unerbetenem Pflanzenwuchs und von von früheren Gästen schändlicher Weise Hineingeworfenem gereinigten Brunnenrund (oder doch etwan Brunn-Viereck?)

Ob jedoch dieser gewiss als fast etwas abseitig gewirkt haben müssende actus zum Siege der Lilaner bei-, ja ob denn diese jenen überhaupt davontrugen –: darüber schweiget sich unser werter Gewährsmann aus dem Kreise der Bitterlingsgenossen mit spitzbüebischer Gesichtes-Miene aus. Auch will Eustachius, der Fetz! den Namen jener Schön Guten nicht preis-geben (hm! Oho!), welche auf das Haupt der Siegerin oder des Gewinners den Bitterlings-Kranz gedrücket resp. auf das möglicher Weise nicht mehr so ganz ungelichtete Haupthaar des letzteren sanftsam geleget haben wird. Doch ist uns zu unserer nicht geringen Erleichterung eine Nach-Geschichte dieses Vorkommnisses bekannt, ohne deren Mit-Teilung – ich sehe mich dazu verpflichtet, es rückhaltlos einzugestehen – an dem Gschichtle das Tuepfelchen auf dem i, seine Spitze, dem doch so überaus freundlich gesonnenen Publico auf eine als schier unverschamet zu bezeichnende Weise vorenthalten wäre!

Bei einer späteren Versammelung unserer Freunde in genenneter weitläufig verwinkelter Großherberg traf Eustach einen ihm bishero Unbekannten aus dem angeblich so dunklen Land. Er wollte sich Demselbigen gerade gebührend zu erkennen geben, als der sich eines Lächelns nicht entschlagen zu können vermeinte und Eustachio erklärete, er kenne ihn bereits. Er sei doch der gewesen, der eines Morgens drunten im Brunnen gelageret, einen goldenen Becher emporgerecket und mit Finder-Stolze ausgeplauderet habe, in diesem so reinlich geputzeten Frei-Bade (!) habe er allendlich ein Angedenken entdecket, welchem in Anbelang von desselbigen Rang- und Wertes das significans eines der familiae ohn jedweden Zweifel nicht unwillkommenen Mitbringsels beizumessen sei. Der Hallodri, der!

Es zahlete sich also aus, dass wir (um bei unserer Selbst-Bezeichnung hinwiederum das pronomen modestiae zu wählen) das zu „s“ amputierete Pro-Nomen „es“ nicht nach selbstischer Will-Kur fülleten oder gar vollstopfeten, unterschiedslos; ja, dass wir uns getreulich an das geheftet, was die so genennete vita hominis uns diktierete. Andenn selbige verfahret, wie obiges stricte auserlesene Exemplum glas-klariter demonstrieret, höchstselbsten poetice, das ist: anmutiglich kombinierend und alsdann als Leckerspeise uns Erdegeborenen servierend Solches, was sie selbsten sich zu producieren bemüßiget hat. Wo sie bei ihrem dictato eine Pause machte, ließen wir nicht wenige „es“-Stellen einfachhin leer. Und weitere uns bekannte, lehrreicher Mit-Teilung ebenfalls keines Weges unwürdige Bei-Spiele müssen wir uns, ach! von Wegen der unserer Seits zugesageten Kurzweiligkeit entschlagen.

Aller Dingens: Wie gerne hätten wir jenes generale „es“ durch weitere Geschichtle „genau gemacht“; mit welcher Freud erzählet von anderen Bitterlingsgenossen, zum Beispiele von dem Magistro mit dem rühmenden Beinamen eines Herren „Notgezwungen“ aus der Alten Hauptstadt; von jenem anderen Herren Meister dramatis historiae, welcher sich auch als ein solcher des erdenweit practiciereten Streiftanzes einen nicht eben unrühmlichen Namen erworben; nicht zu vergessen: mit welchem Spaße hätten wir berichtet von jenem erleuchteten collega, welcher unseren Freund Eustachius derart zu mögen vorgab, dass er den schon längst hätte sich einverleibet, wäre da nur eine uneinsichtige Lokalität gewesen, wo er dessen gewiss nicht unkümmerlichen Überresten fachgerecht eine Heimstatt hätte bereiten können. (Eine solch teils gut-gemeinete, teils jedoch nicht so ganz geheuere Handlung hätte aller Dingens Eustachii so segensreich-burschikose Er-Scheinung ohne Hin zu einem teils vielleichten zu bedauern gewesen seienden, teils hindennoch wohlverdieneten Misslingen gebracht. Der war ja – bei unsrem Barte! – alles Andere als ein bloßes Hirngespenst Eustachii. Dieser Bemerk nur, sollte euch, amici, solchartig Verschraubtes überhaupt je zu Sinne gekommen sein.)

Und gewisslich zu nicht geringerer Lustbarkeit unseres löblichen, des Verständnisses voll seienden Publici wären wir gelaunet gewesen dazu, es demselbigen darzulegen, wie jene KlugSchönStattliche aus einem der wohlgeschatzeten trans-maritimen Nachbarlande vorangetanzet ist, als ein nicht geringer Teil der Geselleschaft jenes Seele in der Nähe der weitläufigen, von derselbigen liebevoll mit „Da, wo 's“ betitelten An-Lage keines Wegens schleppenden Ganges umwanderte, beim Scheine gut- ja sanftmutiger Mondin, unter freigemuteten carmina, welche ihre sowohl gemüetliche Ein- als auch aufmüpfige Ausdrucks-Kraft zu einem nicht eben Kleinen einer sekreten, das ist: subversen Einwirkung eben unseres eustachiitischen Erscheinungs-Heros geschuldet zu haben schienen –: unter dieser Art von Laut-Gaben also, sowie nicht ohn gewisse zünftige Neben-Geräusche, zwar nicht allerweilen, jedoch im Hin-Blicke auf die mehreste Anzahl überlieferter factorum nicht gänzlich unfreiwillige, ereignete sich Selbiges.



Anonymus dießer Kurtzweyligen Legenda/ welche in ienem Landt spieleten/ vonn deme da gesaget ist/ da wirdt es fruher lichte danne anderßwo/ saget allhiero Ade/ nit ohn zuofüro zuo grüessen alldie/ alss welche Selbige der Frohelichen scienza eingedencket sindt, ir gefreundt sindt unde es beliben wellen/ unde schliesset gehabete Mitt-Theylung wortelichen mitt dero allhertzelich gemeyneten formulae: „Valete/ amici“.

Eberhard Scheiffele (Waseda Universität)